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Die Ursprünge der Raumgilde verlieren sich im kosmischen Nebel, ganz ähnlich wie die verschlungenen Pfade, die ein Navigator bereisen muss.
Archiv des Alten Imperiums
Nicht einmal der erfahrenste Gildennavigator verstand auch nur ansatzweise, wie es in diesem andersartigen, widersinnigen Universum tatsächlich zuging, in dem die Realität ihre Geheimnisse nicht offenbaren wollte. Dennoch hatte das Orakel der Zeit Edrik und seine zahlreichen Gefährten hierher gerufen.
Der Navigator schwamm aufgeregt in seinem Tank voller Gewürzgas oben auf dem riesigen Heighliner und blickte besorgt durch die Fenster seiner Kammer auf die Landschaften des Raums und seiner Seele. Rings um ihn herum, so weit er sehen und imaginieren konnte, erkannte er tausende gewaltige Gildenschiffe. Eine solche Ansammlung hatte es seit Jahrtausenden nicht mehr gegeben.
Während sie dem Ruf zu anscheinend unbedeutenden Koordinaten irgendwo zwischen den Sternen gefolgt waren, hatten Edrik und seine Navigatorenkollegen darauf gewartet, dass ihnen die Stimme aus einer anderen Welt nähere Anweisungen gab. Dann hatte sich ganz unerwartet die Struktur des Universums um sie herum gefaltet, und sie alle waren in diese riesige, tiefere Leere gefallen, aus der es offenbar keinen Ausweg gab.
Vielleicht wusste das Orakel um ihr dringendes Bedürfnis nach Gewürz, denn Ordensburg hielt die Lieferungen knapp, um die Gilde dafür zu »bestrafen«, dass sie mit den Geehrten Matres kooperierte. Die widerwärtige Mutter Befehlshaberin, die ihre Muskeln spielen ließ, ohne zu wissen, wie viel Schaden sie damit tatsächlich anrichtete, hatte gedroht, den Gewürzsand zu vernichten, wenn man ihr nicht gefügig war. Wahnsinn! Vielleicht würde ihnen das Orakel eine andere Melangequelle aufzeigen.
Die Schiffsvorräte schrumpften zusehends, während die Navigatoren die Mengen konsumierten, die sie brauchten, um die Schiffe durch den gefalteten Raum steuern zu können. Edrik wusste nicht, wie viel Gewürz in den zahlreichen verborgenen Lagerbunkern noch übrig war, aber Administrator Gorus und seinesgleichen waren eindeutig nervös geworden. Gorus hatte bereits ein Treffen auf Ix beantragt, und Edrik würde ihn in wenigen Tagen dorthin begleiten. Die menschlichen Verwalter hofften, dass die Ixianer eine technische Möglichkeit entwickeln oder zumindest verbessern würden, um Melange-Engpässe zu verhindern. Noch mehr Wahnsinn!
Wie einen Atemzug von frischem, konzentriertem Gewürzgas spürte Edrik etwas aus den Tiefen seines Geistes aufsteigen und sein Bewusstsein erfüllen. Ein winziger Schallpunkt breitete sich von innen aus und wurde immer lauter. Als sich dieses Geräusch in seinem mutierten Hirn schließlich als Sprache entpuppte, hörte er die Worte in tausendfacher Gleichzeitigkeit, während sie sich mit den hellsichtigen Gedanken der anderen Navigatoren überlagerten.
Das Orakel. Der Geist dieses weiblichen Wesens war unvorstellbar weit fortgeschritten, jenseits aller Sphären, die selbst die prophetische Gabe eines Navigators zu erreichen vermochte. Das Orakel war der uralte Grundstock der Gilde, ein tröstlicher Anker für jeden Navigator.
»Dieses andersartige Universum ist der Ort, an dem ich zuletzt das Nicht-Schiff gesehen habe, das von Duncan Idaho geflogen wird. Ich habe ihm dabei geholfen, das Schiff zu befreien, damit es in den Normalraum zurückkehren kann. Dann jedoch habe ich es wieder verloren. Weil die Jäger weiter mit ihrem Tachyonennetz danach suchen, müssen wir das Schiff als Erste finden. Der Kralizec wird kommen, und der letzte Kwisatz Haderach ist an Bord dieses Nicht-Schiffes. Und beide Seiten in diesem großen Krieg wollen ihn haben, um mit ihm den Sieg zu erringen.«
Der Widerhall ihrer Gedanken erfüllte Edriks Seele mit einem kalten Grauen, das ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen drohte. Er hatte Legenden über den Kralizec gehört, über die Schlacht am Ende des Universums, und hatte sie als menschlichen Aberglauben abgetan. Doch wenn sich das Orakel deswegen Sorgen machte ...
Wer war Duncan Idaho? Von welchem Nicht-Schiff sprach sie? Und – das war am erstaunlichsten – wie konnte selbst das Orakel blind dafür sein? In der Vergangenheit war ihre Stimme stets eine beruhigende und lenkende Kraft gewesen. Jetzt spürte Edrik Unsicherheit in ihren Gedanken.
»Ich habe es gesucht, aber ich kann es nicht wiederfinden. Die visionären Linien, die ich imaginieren kann, sind allesamt verworren. Das muss ich euch bewusst machen, meine Navigatoren. Wenn sich diese Bedrohung als das erweist, was ich vermute, werde ich womöglich gezwungen sein, euch um Hilfe zu bitten.«
In Edriks Kopf drehte sich alles. Er spürte das Entsetzen der Navigatoren um ihn herum. Einige von ihnen, die nicht in der Lage waren, diese neue Information zu verarbeiten, die ihren zerbrechlichen Bezug zur Realität erschütterte, verfielen in ihren Tanks voller Gewürzgas dem Wahnsinn.
»Die Bedrohung, Orakel«, sagte Edrik, »besteht darin, dass wir keine Melange haben ...«
»Die Bedrohung ist der Kralizec.« Ihre Stimme dröhnte in den Hirnen sämtlicher Navigatoren. »Ich werde euch rufen, wenn ich meine Navigatoren brauche.«
Mit einem Ruck riss sie mehrere tausend riesige Heighliner wieder aus diesem seltsamen Universum heraus und schleuderte sie zurück in den Normalraum. Edriks Geist geriet aus dem Gleichgewicht, und er versuchte, sich und sein Schiff zu orientieren.
Alle Navigatoren waren verwirrt und aufgeregt.
Trotz des Rufs vom Orakel klammerte sich Edrik an eine viel egoistischere Sorge: Wie können wir dem Orakel helfen, wenn wir alle nach Gewürz hungern?